Behauptung #03
“Es gibt auch immer wieder Rassismus gegen Schweizer.”
Diese Behauptung ist nicht per se falsch. Denn es gibt sehr wohl auch Rassismus gegenüber Schweizerinnen und Schweizern. Und zwar dann, wenn sie von der Gesellschaft als ”nicht-weiss” gelesen und markiert werden. Im Englischen gibt es dafür den Begriff People of Color (PoC) – eine Selbstbezeichnung –, für den es leider keine deutsche Übersetzung gibt. Dieser Begriff fasst jene Menschen zusammen, die von der Gesellschaft aufgrund eines rassifizierten Merkmals, wie z.B. ihrer Hautfarbe, ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Herkunft, eines bestimmten religiösen Symbols, wie z.B. ihr Hijab (Kopftuch muslimischer Frauen) oder ihre Kippa (jüdische Kopfbedeckung), oder ihrer kulturellen Zugehörigkeit (oder derjenigen ihrer Familie) als “anders” gesehen und behandelt werden, als das bei weissen Menschen der Fall ist. Die Reduktion auf ein solches Merkmal führt dazu, dass von den Betroffenen rassistische Diskriminierungen erlebt werden (müssen) und leider auch struktureller Rassismus erfahren wird, weil die eigene Situation/Lebensrealität von der Struktur und dem allgemeinen Verständnis der Gesellschaft als “von der Norm abweichend” bewertet wird.
Was aber Menschen mit der Aussage “Es gibt auch immer wieder Rassismus gegen Schweizer.” meistens meinen, ist:
“Es gibt auch immer wieder Rassismus gegen weisse Schweizer.”
Diese Behauptung ist falsch, denn es gibt keinen relevanten strukturellen, d.h. seit Jahrhunderten im System und somit auch in den Köpfen sehr vieler Leute verankerten “Rassismus gegen Weisse”. Es kann mal vorkommen, dass einzelne Leute Weisse ungleich behandeln oder eine persönliche Abneigung gegen sie, aus welchen Gründen auch immer, haben – was so generalisierend ebenfalls nicht zu tolerieren ist –, aber das konstruierte, erfundene Konzept “Rassismus” wirkt nicht gegen Weisse. Als weiss gelesener Mensch wird man nicht aufgrund des eigenen Weissseins institutionell diskriminiert. Genauso wenig existiert etwa beispielsweise eine gewichtige “Heterofeindlichkeit”, die eine strukturell bedingte Benachteiligung von heterosexuellen Menschen beschreiben würde oder ein relevantes “Matriarchat”, in welchem die Frauen alle Männer in der Gesellschaft systematisch unterdrückten.
Das Konzept “Rassismus” beinhaltet nicht einfach voneinander unabhängige Einzelfälle von Beschimpfungen oder Beleidigungen, sondern beruht auf der strukturellen Kategorisierung bzw. “Rassifizierung” von Menschen durch das Heranziehen von konstruierten Unterschieden. In seinem Kern behauptet es die Überlegenheit der Weissen gegenüber anderen sogenannten “Rassen”, “Ethnien”, “Völker” oder heute auch “Kulturen” und schreibt diesen vermeintlich homogenen Gruppen angeblich naturgegebene, unüberwindbare Differenzen zueinander zu. Durch diese Einteilung werden bestimmten Personen bestimmte Eigenschaft zu- bzw. abgesprochen, um dadurch eine Anders- bzw. Schlechterbehandlung zu begründen und diese wiederum zu legitimieren. Weil dieses System von weissen Menschen erfunden und etabliert wurde, stellten sich diese selbst an dessen Spitze (siehe hierzu Behauptung #01). Das System weist daher negative Eigenschaften bzw. das Fehlen von gewissen positiven Eigenschaften hauptsächlich nicht-weissen Menschen zu. Das Privileg als “Norm” gesehen und auch so behandelt zu werden, haben deshalb ausschliesslich weisse Menschen. “Umgekehrten Rassismus” gibt es nicht.
Nicht nur existiert kein Rassismus gegen Weisse, der etwa auf ihr Weisssein zurückzuführen wäre – die Annahme, dass Schweizer per se weiss sind, ist bereits rassistisch, da sie aufgrund eines rassifizierten Merkmals Menschen ihre Zugehörigkeit zur “Gruppe der Schweizer*innen” abspricht bzw. diese für ausgeschlossen hält.
Weiter ist es genauso wichtig zu verstehen, dass nicht alle Weissen rassistisch sind bzw. nur sie rassistisch sein können. PoC können eigene Rassismuserfahrungen machen und gleichzeitig rassistische Aussagen gegenüber anderen PoC machen oder rassistische Gedanken haben. Wer sich rassistisch äussert, sei es z.B. mit einem vermeintlich lustigen “Witz” oder einer rassistischen Verallgemeinerung (Klischee), ist nicht zwingend auch eine Rassist*in. Denn häufig sind solche Äusserungen darauf zurückzuführen, dass wir alle schon früh rassistisch sozialisiert wurden, d.h. dass unseren internalisierten (“antrainierten”) Denkmustern bereits seit Kindesalter rassistische “Schubladisierungen”, beispielsweise in Märchen, Büchern und Filmen, beigebracht wurden. Diese finden sich in den Vorurteilen, die wir gegenüber “Anderen” haben, und in stereotypischen Vorstellungen von anderen Personen(-gruppen) wieder.
Um an der Dekonstruktion dieses menschenverachtenden Systems zu arbeiten, müssen wir uns bewusst werden, dass Rassismus uns alle etwas angeht und jeder seinen/ihren Teil dazu beitragen muss, damit eine Veränderung in den Systemen und in den Köpfen dieser Gesellschaft geschieht.
Wichtig zu wissen:
“Schwarz” und “Weiss” sind im Diskurs über Rassismus keine Beschreibungen der tatsächlichen Hautfarbe – im Sinne von Farbe der Haut oder Hautton –, sondern politische Kategorien, die für das konstruierte System “Rassismus” etabliert wurden und von der Gesellschaft auch heute noch so wahrgenommen und bezeichnet werden.
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