Behauptung #04

“In der Schweiz herrscht Meinungsfreiheit. Ich kann also sagen, was ich will!”

Die Schweizer Bundesverfassung (BV) regelt eines der höchsten Güter unserer Demokratie – die Meinungsäusserungsfreiheit – folgendermassen:

“Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.” (Art. 16 BV).

Dies gehört zu den Grundrechten aller Menschen in der Schweiz. Ebenso festgesetzt sind weitere allzeit geltende Grundrechte. Darunter fallen z.B.

“Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.” (Art. 7 BV),

“Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.” (Art. 8 Abs. 1 BV),

“Niemand darf diskriminiert werden […]” (Art. 8 Abs. 2 BV)”.

Kommt es dennoch zu Diskriminierung, können sich Betroffene mit Bezug auf Artikel 261bis im Strafgesetzbuch (StGB) bzw. Artikel 171c des Schweizerischen Militärstrafgesetzbuches (MStG), auch bekannt als Rassismusstrafnorm, juristisch wehren.

Dort steht:

«Diskriminierung und Aufruf zu Hass

Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft,

wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung dieser Personen oder Personengruppen gerichtet sind,

wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,

wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,

wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung verweigert,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Diskriminierende und rassistische Handlungen bzw. öffentliche Aussagen sind in der Schweiz demnach verboten und wer dagegen verstösst, kann angezeigt und dafür auch verurteilt werden. Seit der Einführung des Gesetzesartikels im Jahr 1995 kam es laut der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR zu rund 600 Verurteilungen.

Gegen das wiederkehrende Argument von Kritikern, dass das Recht auf Meinungsfreiheit dadurch eingeschränkt würde, hat die Bundesverfassung (BV) ebenfalls vorgesorgt. Für die Situation, dass die Äusserung und/oder Verbreitung der Meinung einer Person, die oben erwähnten Grundrechte einer anderen Person einschränkt, schreibt die BV:

“Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.” (Art. 36 Abs. 2 BV)

Oder ein bisschen einfacher ausgedrückt:

Die (Meinungsäusserungs-)Freiheit des/der einen geht so weit, bis die Freiheit (bzw. das Grundrecht) eines/einer anderen verletzt werden würde.

Dies ist im Falle von Diskriminierung wie u.a. bei Rassismus oder Antisemitismus klar gegeben und somit ist die Rassismusstrafnorm unerlässlich und gibt, insbesondere Betroffenen, die Gewissheit, dass man sich bei entsprechenden Vorfällen und Situationen auch juristisch zur Wehr setzen kann.

Übrigens: Beim oben erwähnten Strafrechtsartikel handelt es sich um ein Offizialdelikt, das heisst, jede Person kann einen Vorfall, den sie als einen Verstoss gegen die gesetzlichen Bestimmungen empfindet, bei der nächsten Polizeistelle melden. Diese ist verpflichtet den Sachverhalt zu prüfen und gegebenenfalls eine Strafverfolgung einzuleiten.

Anmerkung: Die Rassismusstrafnorm im Strafgesetz erfasst in ihrer aktuellen Fassung allerdings nur wenige, ausgewählte Handlungen und beispielsweise keinen Alltagsrassismus, obwohl dieser eine der häufigsten Formen von Rassismus ist, die Betroffene immer wieder erleben. Mehr Infos dazu gibt es auf humanrights.ch.

Wichtig zu wissen:
Die Verwendung des Begriffs “Rasse” in der Bundesverfassung und im Gesetzbuch sorgt zu recht immer wieder für Diskussionsstoff – z.B. auch in Deutschland. Denn wissenschaftlich und biologisch ist zweifelsfrei bestätigt, dass es keine sogenannten “Menschenrassen” gibt und unser aller Erbgut zu über 99% identisch ist. Demnach ergibt es keinen Sinn von unterschiedlichen «Rassen» zu reden, da sie schlichtwegs nicht existieren. Allerdings steht die begründete Befürchtung im Raum, dass eine Streichung des Begriffs “Rasse” auch als Signal dafür verstanden werden könnte, dass es dementsprechend auch keinen Rassismus gäbe. Dies, obwohl dessen Ideologie klar die Konstruktion (bzw. Erfindung) von Menschengruppen als Abstammungs- und Herkunftsgemeinschaften umfasst, denen kollektive Merkmale zugeschrieben bzw. abgesprochen werden, die implizit oder explizit bewertet und als nicht oder nur schwer veränderbar interpretiert werden. (vgl. Was ist Rassismus? von Johannes Zerger)
Dies wäre natürlich fatal und eine Erniedrigung sondergleichen für die Anliegen und Rechte von Betroffenen. Demzufolge beschlossen wir als Kollektiv Vo da. den Begriff «Rasse» weiter in unseren Artikeln zu verwenden, jedoch stets mit Anführungszeichen zu schreiben und, besonders bei mündlicher Verwendung, mit den Adjektiven “vermeintlich” oder «zugeschrieben» zu ergänzen. Diese stellen klar, dass die Mutmassung von bestehenden “Menschenrassen” eindeutig falsch isch und auf einem rassistischen Verständnis beruht.

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