Hallo Migros, wir haben da ein paar Fragen
Triggerwarnung (Was ist das?)
Hallo Migros,
Am 15. Juni erschien die 25. Ausgabe des Migros Magazins 2020. Die Titelstory “From Balkan with Love” mit Artikeln wie u.a. “Das haben sie uns gebracht” und “Gömmer Migros?” sowie die dabei verwendete Bildsprache sorgten zu Recht für Empörung unter zahlreichen Leser*innen.

Wir können nur mutmassen, welche Ziele die Redaktion und die Autor*innen mit diesen Artikeln verfolgt haben. Aber was gemäss späterer Aussage Ihres Social-Media-Teams zwar gut gemeint gewesen sei, ist rassistisch diskriminierend gegenüber Menschen mit einer Herkunft oder mit Wurzeln im Balkan. Zahlreichen Klischees bedienend, wurde der Stereotyp des autoleasenden und trainerhosentragenden “Balkaner” hochstilisiert. Diese “Balkaner” scheinen den Artikeln nach eine homogene “Gemeinschaft” zu sein, die wohl nur aus Männern besteht, die sich nicht mit korrektem Deutsch auszudrücken wissen. Eine Diskriminierung und ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen mit Herkunft oder Wurzeln im Balkan, die hier zuhause sind, sich der Schweiz zugehörig fühlen und sich im Beruf und/oder in ihrer Freizeit tagtäglich für die hiesige – und dadurch ja auch ihre eigene – Gesellschaft einsetzen. Weshalb immer wieder dieselben Vorurteile bedienen und Mitmenschen hiermit willentlich ausgrenzen? Diese erfahren so aufgrund nicht-wählbarer Attribute wie Herkunft, Hautfarbe, usw. immer wieder Stigmatisierungen.
In Ihrem Special ist von “ihnen” und “uns” die Rede. Wir fragen uns und Sie konkret:
Wer ist eigentlich “wir” und wer sind “sie”? Weshalb dürfen “die” nicht zu “uns” gehören?
Als grösste Detailhändlerin der Schweiz nehmen Sie gegenüber Ihren Konsument*innen und Ihren Mitarbeiter*innen eine Vorbildfunktion ein sowie eine gewisse soziale Verantwortung wahr. Laut Bundesamt für Statistik hat 37.5% (2018) der Schweizer Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund. Bei rund 106’000 Migros-Mitarbeiter*innen dürften demnach diskriminierende, stereotypisierende Aussagen über Menschen mit Wurzeln im Ausland mindestens 40’000 von ihnen zutiefst beunruhigen und irritieren. In Ihrem eigenen “Verhaltenskodex” versprechen Sie Ihren Mitarbeiter*innen für Werte wie u.a. “die Gleichbehandlung der Menschen mit unterschiedlicher Herkunft oder unterschiedlichem Hintergrund” einzustehen und verlangen auch von ihnen, eine solche Unternehmenskultur zu leben. Dem Kodex ist weiter zu entnehmen, dass Sie “offene, ehrliche und klar Kommunikation fördern” möchten und:
“Wenn wir mit unangenehmen Fragen konfrontiert werden, weichen wir diesen nicht aus.”
Genau solche Fragen stellen Ihnen nun seit 2 Wochen diverse User*innen auf Social Media und Ihr Community-Team lässt diese u.a. wissen: “Wir haben dieses Special nicht gut umgesetzt.”, “Es tut uns leid, wenn wir Leute damit verletzt haben.”, “Wir hatten bestimmt gute Absichten, das Endresultat ist aber nicht gut gelungen.”, “Wir haben das intern auch schon selbstkritisch angeschaut und werden unsere Lehren daraus ziehen.”, “Ja, das sehen wir auch so und wir würden das heute sicher nicht mehr so machen. Warum das so nicht vorher bemerkt wurde… Dazu haben wir leider gerade keine Antwort parat.”, “Es ist uns wirklich überhaupt nicht recht, haben wir das so vergeigt und wir schätzen eure Rückmeldungen.”, “Was dazu geführt hat, dass es so raus ging, dazu kann ich dir an dieser Stelle nicht wirklich viel sagen, weil ich zu weit weg bin von diesem Prozess rund um die Erstellung des Magazins.”
Obwohl die Social-Media-Beauftragte, wie sie selbst schreibt, zu weit weg vom Entstehungsprozess des Magazins ist und deshalb nicht nachvollziehen kann, wie besagter Inhalt abgedruckt werden konnte, entschuldigte sie sich dennoch im Namen der Migros dafür. Was wohl ebenfalls gut gemeint war, hinterlässt leider mehr als einen fahlen Beigeschmack und trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei, wie sie eine Stellungnahme der Verantwortungsträger*innen des Magazins hätte bewirken können.

Als ein Kollektiv von Diskriminierung- und Rassismusbetroffenen sowie von Menschen, die sich für die Benennung von Diskriminierung & Rassismus in der Schweiz engagieren, richten wir deshalb heute folgende Fragen an die Verantwortlichen in Ihrem Unternehmen:
- Was genau hat dazu geführt, dass das Special mit dieser Text- und Bildsprache so publiziert wurde?
- Wie gedenkt das Migros Magazin die Publikation stereotypisierender sowie implizit rassistischer Artikel in Zukunft zu vermeiden?
- Wie möchte das Migros Magazin seine Mitarbeiter*innen in Zukunft für Rassismus sensibilisieren, um diesen zu erkennen und entsprechende Handlungen dagegen vorzunehmen?
- Welche expliziten Lehren zieht die Migros aus diesem Vorfall? Welche Änderungen/Verbesserungen werden umgesetzt, um einen Wiederholungsfall zu vermeiden?
Es sollte Ihnen ohne allzu grossen Aufwand möglich sein, die Antworten auf diese Fragen in Ihrem hauseigenen Magazin zu veröffentlichen und somit auch denselben 2’291’000 Leser*innen zukommen zu lassen, wie die “vergeigte” Titelstory vor 2 Wochen.
Rassismus kennt viele Facetten. “From Balkan with Love” steht leider exemplarisch dafür, wie entsprechende Grenzen auch ohne böse Absichten überschritten werden können und Betroffene stark verletzt werden. Stehen wir aus diesem Grund doch gemeinsam konsequent gegen Rassismus ein!
Wir danken Ihnen für eine Stellungnahme!
Freundliche Grüsse,
Kollektiv Vo da.
Update: Trotz mehrmaligem Nachfragen und einem weiteren Schreiben an die Präsidentin der Verwaltung des Migros-Genossenschafts-Bunds sowie fünf beigelegten Statements (Stimme Vo da.) von direkt betroffenen Menschen aus dem Umfeld unseres Kollektivs, hat die Migros uns nie Antworten auf unsere Fragen zukommen lassen und auch nie eine Stellungnahme zu besagtem Magazin-Special verfasst. Unser Abschluss-Artikel dazu: Keine Antworten von der Migros