«Huutfarb»

«Sie dörf ich en Stift mit huutfarb?»

Meine Freundin Sabrina ist Primarlehrerin und diese Frage wurde ihr vor kurzem von einer Schülerin gestellt. Sabrinas Hautfarbe ist braun, genau wie die ihrer Schülerin.

Sabrina streckte also der Schülerin ganz selbstverständlich einen braunen Stift entgegen. Die Schülerin antwortet: «Nei Sie, ich meine huutfarb.» und zeigt auf den hellrosa Stift. Sabrina schaut auf ihren Arm und den Arm der Schülerin. Anschliessend schaut sie sich im Klassenzimmer um und meint erstaunt zur Schülerin: «Ich sehe Adam, Qendrim, Vanessa und Perwin und jeder von ihnen hat eine eigene Hautfarbe. Hautfarben haben wir in dieser Farbstiftschachtel ganz viele. Die Farbe, die du meinst, ist nicht ‹Hautfarbe›, sondern Hellrosa.»

Auch zu meiner Schulzeit war mit «huutfarb» nicht die tatsächliche Farbe der Haut der anwesenden Kindern, sondern beige oder hellrosa gemeint, also die Hautfarben, die oft «weiss» genannt werden. Wenn ich meinen eigenen Arm betrachte, dann ist er zwar nicht gerade hellrosa, aber doch irgendwie beige und kommt dem, was meist mit «huutfarb» gemeint ist, ziemlich nahe. Es gelten also nur bestimmte Hautfarben als «huutfarb» und obwohl meine davon nicht unbedingt ausgeschlossen ist, bezeichne ich mich dennoch nicht als «weiss». Warum das so ist und was das mit Rassismus zu tun hat, möchte ich nun aufdecken.

Die Hautfarbe ist ein wichtiger Bestandteil von rassistischen Vorstellungen. Seit der europäischen Kolonialzeit wird die Hautfarbe als Merkmal benutzt, um Menschen zu «kategorisieren» und ihnen vermeintliche Eigenschaften zu- bzw. abzusprechen. Während europäische Personen als Norm definiert wurden, galten nicht-europäische Personen als Abweichung dieser Norm, als fremd und minderwertig. Diese erfundenen Unterschiede dienen einzig und allein der Aufrechterhaltung eines kolonialen Systems. Die Erschaffung dieses Systems war nötig, um die Ausbeutung, Misshandlung und Ermordung von Menschen während der Zeit des Kolonialismus und Sklavenhandels zu rechtfertigen. Bei diesen rassistischen Ideologien geht es allerdings keineswegs nur um die Hautfarbe im eigentlichen Sinne, stattdessen können abwertende Merkmale auch Menschen zugeschrieben werden, die vielleicht sogar eine hellere Hautfarbe haben: Betrachten wir […] die Entwicklung von Weisssein, wird schnell klar, dass Menschen die heute als «weiss» gelten dies nicht immer taten. Beispielsweise forderten Hafenarbeiter im New York des 19. Jahrhunderts, ihr Viertel solle «weiss bleiben» und damit meinten sie, neben z.B. Afro-Amerikaner*innen, auch «keine Ir*innen» und «keine Deutschen». (vgl. i-Päd Glossar)

Das bedeutet, dass Weisssein nicht nur die Hautfarbe bezeichnet, sondern auch die Privilegien, die eine Person innehat. Privilegien zu haben bedeutet, mit gewissen Problemen und Diskriminierungen im Alltag nicht konfrontiert zu sein. Privilegien können u.a. sein: einen Schweizer Pass haben; als weiss gelten; ein Cis-Mann sein; nicht behindert werden. Privilegien zu haben bedeutet aber nicht, dass man es im Leben per se immer leicht hat.

Weisssein bedeutet also das Privileg zu haben, nicht von Rassismus betroffen zu sein. In Abgrenzung dazu ist «Person of Color» oder «PoC» die Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Die Bezeichnung ist in der Bürgerrechtsbewegung in den USA entstanden und zielt darauf ab, die unterschiedlichen Gruppen, die Rassismus erfahren, zu vereinen, um so Kräfte zu bündeln und gemeinsam gegen Rassismus zu kämpfen. Der Begriff ist eine Wiederaneignung und positive Umdeutung der abwertenden Zuschreibung «colored». PoC ist der Begriff, der die meisten nicht-weissen Identitäten vereint. Es existieren noch genauere Bezeichnungen für gewisse Gruppen, wie etwa BIPOC (Black and Indigenous People of Color).

Ich selbst bin auch von Rassismus betroffen, daher bezeichne ich mich als Person of Color und nicht-weiss, obwohl meine Hautfarbe beige ist.

Der BIPOC-Begriff wird manchmal auch als Black, Indigenous and PoC verwendet, da sich einige Schwarze und Indigene Personen nicht als PoC definieren. Schwarz ist die Selbstbezeichnung für Schwarze Menschen, die afrikanische bzw. afrodiasporale Bezüge haben. Afrodiasporal bedeutet, dass Menschen in ihrer Geschichte verwandtschaftliche Bezüge zum afrikanischen Kontinent haben. Auch Schwarz bezeichnet natürlich – analog zu weiss – keine tatsächliche Hautfarbe, sondern eine von Menschen erschaffene Kategorie. Um den Widerstandscharakter dieses Wortes zu betonen, wird das „S” grossgeschrieben. (vgl. Diversity Arts Culture)

Während jene PoC mit hellerer Haut in einigen Gegenden das Privileg haben können, nicht von Rassismus betroffen zu sein, gibt es Schwarze und Indigene Menschen, die dieses Privileg nirgendwo haben. Dies führt uns zum nächsten Begriff, nämlich «Colorism».

Wie wir bereits gesehen haben, werden Menschen in einer rassistischen Gesellschaft nach ihren Hauttönen kategorisiert und beurteilt. Der Begriff Colorism kommt ursprünglich aus den USA und bezeichnet eine spezifische Art der Diskriminierung, bei welcher die Farbe bzw. die Schattierung der Haut die Basis für die Bevorzugung oder die Benachteiligung von Personen bildet. Colorism hat konkrete Auswirkungen im Alltag. PoC und Schwarze Menschen, die eine besonders dunkle Hautfarbe haben, werden institutionell und auch im Alltag stärker diskriminiert, als jene mit hellerer Haut. Ein Beispiel dafür ist, dass in Filmen mit Schwarzen Schauspielerinnen oft jene bevorzugt werden, die eine besonders helle Haut haben.

Obwohl Sabrina und ich beide PoC sind, macht sie also mehr und andere Rassismuserfahrungen als ich. Als Person of Color mit sehr heller Haut profitiere ich nämlich von Colorism. Ich werde viel weniger diskriminiert, als Personen, die eine dunklere Haut haben oder andere rassifizierte Merkmale tragen (wie z.B. eine Afro-Frisur).

Was bedeutet dies nun alles für den Stift mit «huutfarb»? Wenn «huutfarb» rosa oder beige ist, dann ist darin eine Wertung enthalten. Nämlich, dass nur diese Hautfarben «normal» sind. Die anderen Hautfarben werden so zur Abweichung konstruiert. Unterstrichen wird dies etwa auch im Begriff «dunkelhäutig». Dunkelhäutig macht nur Sinn im Bezug zu «hellhäutig». Hellhäutig wird jedoch kaum verwendet, sondern wie wir gesehen haben, spricht man lediglich von «huutfarb», also der Bezeichnung der «Norm». Dunkelhäutig im Bezug zu «huutfarb» ist darum zwingenderweise immer «abweichend von der Norm» bzw. «anders» und kann so auch nicht zur gesellschaftlich akzeptierten Norm dazugehören.

Diese Art von Normen haben eine reale Wirkung auf das Leben von Rassismusbetroffenen. Wenn eine weisse Person in eine Apotheke geht, dann kann sie davon ausgehen, dass sie ein Pflaster in der Farbe ihrer Haut findet. Eine Schwarze Person kennt dieses Privileg nicht. Dies ist eine Form von Alltagsrassismus, wobei es natürlich leider noch sehr viel gewaltvollere Formen von Rassismus gibt.

Um wirksam gegen rassistische Strukturen vorzugehen, müssen wir uns bewusstwerden, woher diese kommen und wo wir sie heute noch immer finden. Die wichtige Lektion, die Sabrina ihrer Schülerin mit auf den Weg gegeben hat, ist, dass es keineswegs «normal» ist davon auszugehen, das mit dem Begriff «huutfarb» einzig die Farbe Hellrosa bezeichnet wird.

Linda Owzar (28) lebt in Zürich und engagiert sich als Mitgründerin des Vereins Diversum für den Austausch zwischen PoC, sowie für die Sensibilisierung für Rassismus im Schulkontext.