«Spread the Word!» – Eine rassismuskritische Ausbildung auch für die Soziale Arbeit

In unserer Rubrik «Spread the Word!» teilen wir Neues von Projekten, die sich ebenfalls für eine rassismuskritische und diskriminierungsfreiere Gesellschaft und für die Menschenrechte für alle einsetzen.

Dieser Text wurde vom Netzwerk Rassismuskritische Soziale Arbeit (RAKSA) verfasst.

Am 21. März 2022, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, hat das Netzwerk Rassismuskritische Soziale Arbeit (RAKSA) alle deutschschweizer Schulen Sozialer Arbeit angeschrieben und den Appell für eine rassismuskritische Weiterentwicklung der Lehr- und Lernkultur zugestellt. Der Appell wurde bisher von 707 Personen unterzeichnet.1

Unterstütz uns mit deiner Unterschrift und unterzeichne den Appell für eine rassismuskritische Ausbildung der Sozialen Arbeit: Jetzt supporten!

RAKSA wurde 2020 gegründet, da sich ein Bedürfnis nach einem Begegnungsort bezüglich Rassismus in der Sozialen Arbeit unter rassismusbetroffenen Sozialtätigen zeigte. Es fehlte vielen Studierenden und Sozialtätigen ein Gefäss, um die Ohnmacht der erlebten Rassismuserfahrungen im Studium und Praxisalltag zu erkennen, benennen und anschliessend einen Umgang damit zu finden. Alle Erfahrungen haben die Gemeinsamkeit, dass sie einen strukturellen sowie gesellschaftlichen Ursprung haben und in der Ausbildung auf institutioneller Ebene weiterhin reproduziert werden. Daraus entstand ein Appell an die Schulen Sozialer Arbeit, um Rassismus auf einer strukturellen Ebene und inhaltlich im Curriculum aufzuzeigen und entgegenzuwirken. Dabei sind nötige organisationale Anpassungen vorzunehmen, damit die Schulen als solche ihren Auftrag einer diskriminierungskritischen Bildung nachkommen können. Die Forderungen gehen nebst inhaltlichen, rassimuskritischen Anpassungen des Curriculums auch auf andere Aspekte ein. Es wird auch eine notwendige rassismuskritische Haltung der Dozierenden, der Diversitybeauftragten und Anlaufstellen, sowie eine rassimuskritische Positionierung auf interner, institutioneller Ebene gefordert.

«Durch RAKSA konnten die Micro Aggressionen als ein strukturelles Problem erkannt werden. Wir mussten die Erfahrungen nicht mehr alleine bewältigen und konnten uns gegenseitig empowern.»

RAKSA fordert eine Soziale Arbeit, die diskriminierungskritisch gestaltet ist und die Menschenrechte als solche einhält. Das ist heute immer wieder nicht der Fall – sowohl in der alltäglichen Praxis als auch beim Erlernen des Berufes an Höheren Fachschulen und Fachhochschulen Sozialer Arbeit. So werden während dem Studium oft stark stereotypisierende Fallbeispiele genutzt und rassismusbetroffene Adressat*innen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht. Ein sogenanntes Fallbeispiel könnte folgendermassen aufgebaut sein; die Adressat*innen haben einen Migrationshintergrund und die Namen, Familienverhältnisse und Problemstellungen werden entsprechend klischeehaft und überspitzt dargestellt. Dieses Phänomen nennt sich Kulturalisierung. Damit werden die Personen schubladisiert und die Problemfelder mit kulturellen und ethnischen Zugehörigkeiten erklärt. Dabei werden andere strukturelle oder auch individuelle Ursachen nicht mitberücksichtigt. Beispielsweise werden gewalttätige Männer von Sozialarbeitenden unterschiedlich bewertet. Bei muslimischen Männern of color wird das Verhalten oft mit religiösem Hintergrund und Ehrkonzepten erklärt und bei weissen Männern werden psychische Probleme angenommen.2

Solche Fallbeispiele können auch triggernd auf rassismusbetroffene Studierende wirken, welche eine klare Minderheit unter den Studierenden der Sozialen Arbeit sind. Oftmals werden die rassismusbetroffenen Studierenden bei der Besprechung solcher Fallbeispiele dann angestarrt und verantwortlich gemacht als Einzelperson für eine ganze rassifizierte Gruppierung Stellung zu nehmen und werden automatisch der Rolle der Expert*in von unterschiedlichen Kulturen zugewiesen. Eines der Ziele des Appells für eine rassimuskritische Ausbildung wäre es, auch rassifizierte Studierende vor – aktuell immer wieder erlebten – rassistischen Situationen im Unterricht zu schützen.

«Kulturalisierende Fallbeispiele sind eine Form von Othering, welche Menschen ihrer Individualität und Vielfältigkeit entzieht.»

Abgeleitet von der Bundesverfassung, Art. 8, ist es ein Auftrag aller Schulen, nicht nur der obligatorischen, sondern auch derer im Tertiärbereich wie Unis und Fachhochschulen, eine diskriminierungsfreie Lernumgebung zu schaffen. Diesem Verfassungsauftrag kommen unserer Meinung nach viele Schulen nicht nach. Wenn solche Fallbeispiele noch heute genutzt werden, um Sozialtätige auszubilden, werden weiterhin rassistische Strukturen und Stereotypen reproduziert. Darüber hinaus führt die Vernachlässigung einer rassismuskritischen Ausbildung dazu, dass in der Praxis weiterhin Rassismen reproduziert werden mit rassismusbetroffenen Adressat*innen. Entsprechend ist ein weiteres Ziel des Appells, dass Klient*innen, die negativ von Rassismus betroffen sind, zukünftig in der Beratung und Begleitung von Fachleuten, die ihre eigenen Rassismen reflektiert haben und gegenüber Adressat*innen rassismussensibel handeln,  unterstützt werden. Zugleich werden die rassismusbetroffenen Sozialtätigen in der aktuellen Praxis der Sozialen Arbeit als «Kulturvermittler*innen», «Migrationsexpert*innen» in ihrer Arbeit geothert und durch diese einseitige Darstellung der Kompetenzen entprofessionalisiert. Durch eine rassismuskritische Ausbildung der Sozialen Arbeit würde die Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit zu Rassismus nicht nur von Betroffenen getätigt sein.

Noch können wir den Unterzeichner*innen wenig Auskunft geben, wie die Schulen Sozialer Arbeit ihre Schulkultur rassismuskritisch weiterentwickeln werden. Bis heute, sechs Monate später, haben wir von vier Schulen eine Rückmeldung erhalten. Von allen anderen 14 Schulen kam noch keine Reaktion. Wir wissen jedoch, dass vier weitere Schulen interne Abklärungen führen. Bis heute warten wir auf die weiteren Stellungnahmen und Handlungsansätze der Schulen.

Falls du uns unterstützen möchtest, kannst du den Appell unterzeichnen und unsere Anliegen hier supporten.

Das Netzwerk RASKA trifft sich regelmässig und entwickelt sich zunehmend weiter. Wer an einem Austausch interessiert ist und Mitglied werden möchte, ist herzlich willkommen.

Wir bleiben dran.

Solidarische Grüsse

Milena, Nerosa und Rahel vom Netzwerk Rassismuskritische Soziale Arbeit (RAKSA) 

1 www.netzwerk-rassismuskritische-sozialearbeit.ch/forderungen
2 Guhl, J. (2012). Wie Sozialarbeitende zu Diskriminierung beitragen. SozialAktuell, 44(6), 20-22)

Über RAKSA:

Das Netzwerk Rassismuskritische Soziale Arbeit (RAKSA) ist eine Plattform für rassismusbetroffene Sozialtätige, insbesondere Sozialarbeiter*innen, Soziokulturelle Animator*innen und Sozialpädagog*innen. Im Fokus stehen ein regelmässiger Austausch und die Auseinandersetzung mit rassismuskritischen Themen im Hochschul- und im Praxisalltag der Sozialen Arbeit. Die Plattform wird auch zum Austausch von Erfahrungen, Informationen, Kontakten, wie auch zur gemeinsamen Weiterbildung an internen Infoveranstaltungen genutzt. Strukturelle Missstände, Diskriminierung und Rassismus sollen auf diese Weise erkannt und benannt werden. Diese Arbeit wird ehrenamtlich geleistet.

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