Vorstoss im Solothurner Kantonsrat: Über systemischen Rassismus und die Notwendigkeit einer entschiedenen Bekämpfung von Diskriminierung

Die Debatte über den Umgang mit Asylsuchenden im Kanton Solothurn, die straffällig werden, hat eine bedenkliche Wendung genommen, die auf tiefsitzende Vorurteile und Stereotypisierungen hinweist.
Am 19. März reichte die kantonale FDP einen Vorstoss ein, der die “Einführung von Sofortmassnahmen gegen kriminelle Asylsuchende” forderte.
Der Vorstoss zielt darauf ab, Asylsuchende, die straffällig wurden, schneller abzuschieben und schärfere Personenkontrollen einzuführen. Unter anderem forderte die FDP eine Verlängerung von Haftstrafen für Asylsuchende und eine härtere Gangart gegenüber Personen, die in Asylzentren gegen das Gesetz verstossen.
Gleichzeitig sollen aber nicht nur jene Asylsuchende mit härteren Massnahmen konfrontiert werden, sondern wird von der FDP ebenso und für alle Asylsuchende geltend “[…] eine strikte Hausordnung in den Asylzentren mit Anwesenheits- und Abwesenheitskontrollen, zwingender Anwesenheit ab 22.00 Uhr, eine verstärkte Präsenz von Sicherheitsdiensten während der Nacht, mehr Polizeipräsenz, die Einrichtung eines Asylzentrums für renitente Asylsuchende entweder in einer möglichst abgelegenen Liegenschaft oder in einer geschlossenen Abteilung in den bestehenden Asylzentren […]” gefordert.

Interessanterweise räumt die FDP im Vorstoss selber ein, dass eine solche Kollektivbestrafung unverhältnismässig ist und verweist auf die statistische Erhebung der Solothurner Kantonspolizei. Diese befindet, es sei “[…] nur ein kleiner Teil dieser Fälle auf kriminelle Asylsuchende aus den Asylzentren Fridau in Egerkingen und Allerheiligenberg in Hägendorf zurückzuführen. Die Mehrheit der Delikte ist auf ausserkantonalen und internationalen Kriminaltourismus zurückzuführen”.
Weitere quantitative Fakten, welche die FDP selbst zitiert, stehen zudem im Kontrast zur porträtierten subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung, welche die geforderten Kollektivbestrafungen in diesem Vorstoss motivieren: “Die kriminellen Asylsuchenden, auch wenn sie ‘nur’ 5 % bis 8 % aller Asylsuchenden ausmachen, belasten nicht nur die Gesellschaft allgemein, sondern gefährden auch die Akzeptanz von Asylzentren durch die Bevölkerung, insbesondere in den drei betroffenen Gemeinden.”

Am 23. April reagierte der Solothurner Regierungsrat auf den Vorstoss und äusserte Bedenken hinsichtlich einer pauschalen Verschärfung der Massnahmen. Er betonte die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung und individuellen Prüfung der Fälle, um eine effektive und gerechte Politik zu gewährleisten. Der Solothurner Regierungsrat wies darauf hin, dass eine solche Verschärfung potenziell diskriminierend sein könnte und dass strukturelle Probleme, wie fehlende Integration und mangelnde Unterstützung des Bundes zur Koordination von gesamtschweizerischen Themen, berücksichtigt werden müssen.
Bereits intakte Massnahmen werden vom Regierungsrat in seiner Stellungnahme genau erläutert und der Prozess der regelmässigen Prüfung und Anpassung dieser Massnahmen wird dargelegt, wie beispielsweise die Unterstützung des Betreuungspersonals der Asylzentren durch einen Sicherheitsdienst, die Überarbeitung von Hausordnungen und der regelmässige Austausch zwischen Kanton und den Einwohnergemeinden der Standorte der Asylzentren. Letzteres, gemäss Aussage des Regierungsrats, “[…] wird [Die Zusammenarbeit] geschätzt und als effektiv wahrgenommen.”

Die Solothurner FDP argumentiert für eine strengere Gangart gegenüber Asylsuchenden, die straffällig wurden, ohne explizite Beschwerden der Gemeinden vorzulegen – bewusst den zugrundeliegenden Fakten entgegen – und ohne die strukturellen Ursachen von Kriminalität und sozialer Ausgrenzung zu berücksichtigen.
Es ist deshalb wichtig hervorzuheben, dass Massnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung auf einer umfassenden Analyse basieren, die auch strukturelle Probleme wie Armut, Diskriminierung und fehlende Integration berücksichtigt. Die Bekämpfung von Kriminalität erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die sich auf Prävention, soziale Unterstützung und den Abbau von gesellschaftlicher Ausgrenzung konzentriert.

Die Diskussion über den Umgang mit straffällig gewordenen Asylsuchenden muss vor dem Hintergrund des systemischen und institutionellen Rassismus betrachtet werden, der in Institutionen und Strukturen verankert ist. Eine Studie der Universität Turin, die Sozialhilfe im Asylwesen untersucht hat, zeigt, dass eine bessere finanzielle Unterstützung für Geflüchtete mit weniger Kriminalität einhergeht. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit und Unterstützung für gefährdete und marginalisierte Bevölkerungsgruppen, während sie gleichzeitig auf die strukturellen Ursachen von Kriminalität hinweisen.

Die Entscheidung der Solothurner Regierung, Sicherheitsdienste in die Asylzentren zu entsenden sowie über ein Ausgangsverbot für alle Asylsuchende zu diskutieren, wirft Fragen der Verhältnismässigkeit auf. Denn solche Massnahmen können dazu beitragen, Vorurteile zu verstärken und die ohnehin schon schwierige und belastende Situation von Asylsuchenden weiter zu verschärfen. Es ist wichtig zu betonen, dass strukturelle und institutionelle Probleme nicht durch rein polizeiliche Massnahmen gelöst werden können, sondern eine umfassende gesellschaftliche Antwort erfordern.

Um den systemischen Rassismus und die Diskriminierung in unserer Gesellschaft zu bekämpfen, müssen wir uns aktiv gegen Vorurteile und Stereotypen stellen und uns für eine inklusive und gerechte Gesellschaft einsetzen. Dies erfordert nicht nur politische Massnahmen, sondern auch ein Umdenken auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Wir müssen uns bewusst werden, wie Vorurteile und Stereotypen unsere Denkweisen und Handlungen beeinflussen und uns aktiv dafür einsetzen, diese zu überwinden.

Die derzeitige Diskussion über den Umgang mit Asylsuchenden im Kanton Solothurn ist ein Spiegelbild der tiefsitzenden Probleme des systemischen und institutionellen Rassismus in unserer Gesellschaft. Die Entscheidung des Solothurner Parlaments am 15. Mai wird zeigen, inwieweit diese Perspektive in die politischen Entscheidungsprozesse integriert wird. Es ist unumgänglich, dass Lösungen gefunden werden, welche Menschenrechte und die Würde aller Menschen respektieren und damit aktiv Diskriminierung bekämpfen.

Mehr zur Studie über den Zusammenhang von Sozialleistungen und Kriminalität bei Asylsuchenden:

Die Studie kommt zum Schluss, dass eine Veränderung des Betrags der Sozialleistungen auch die Wahrscheinlichkeit einer Straftat verändere. Es gebe jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Höhe der Sozialhilfe und der Intensität der Jobsuche.
Die Erkenntnisse der Studie decken sich mit den Erfahrungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe und werden daher als gute Argumente erachtet, um sich für eine schweizweite Harmonisierung der Sozialhilfe für Geflüchtete einzusetzen.

Link zur gesamten Studie in englischer Sprache