Behauptung #06

Das ist nicht rassistisch, denn ich habe das ja gar nicht böse gemeint.

So oder so ähnlich lautet häufig die erste Reaktion von vielen Menschen, nachdem sie auf eine rassistisch diskriminierende Aussage ihrerseits aufmerksam gemacht wurden.

Rassismus wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts allzu oft ausschliesslich in Verbindung mit Faschismus, Nationalsozialismus und anderem rechtsextremen/rechtsradikalen Gedankengut gesetzt und wird somit von jeder gutmütigen und sich selbst als weltoffen und tolerant bezeichnenden Person als etwas zutiefst Böses und Hasserfülltes betrachtet. Die Feststellung eines klaren Bezugs zwischen einer Äusserung oder Handlung und dem (historischen) Konzept des Rassismus wird deshalb irrigerweise oftmals zu einem direkten Vorwurf uminterpretiert und von der höflich darauf hingewiesenen Person sogleich als eine vermeintliche ungeheuerliche Beleidigung empfunden. Gerade wenn im Kern der Aussage statt Hass und Gewalt vielmehr Spass und Humor die eigentlichen Treiber waren, ist eine gefühlte Kränkung jener Person leider kaum vermeidbar. Diese Tabuisierung von Rassismus ist allerdings enorm hinderlich und zugleich auch gefährlich. Sie führt nämlich nicht dazu, dass ungerechtfertigte Ungleichbehandlung in der Gesellschaft verschwindet, nur weil sie von sehr vielen ignoriert und entsprechend nicht benannt wird. Im Gegenteil: Wenn wir nicht in der Lage sind rassistisch diskriminierende Strukturen zu entlarven, können wir folglich gar nicht damit beginnen, sie abzubauen oder zukünftig gar pro-aktiv zu verhindern.

Menschenverachtende Ideologien und rassistische Fremdbezeichnungen zu verbreiten oder zu reproduzieren ist nie einfach «lustig» oder «unterhaltsam» – besonders nicht für jene, die aufgrund der Existenz jener diskriminierenden Konstrukte marginalisiert werden. Humor, der auf Kosten einer benachteiligten «Gruppe» geschieht, trägt dazu bei ungleiche Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten und die Dynamiken der systematischen und institutionellen Unterdrückung dadurch weiter voranzutreiben.

Die Vorstellung, dass diskriminierende Aussagen oder Handlungen stets mit Absicht einher gehen müssen, projiziert die «Schuld» für reale Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen einer betroffenen Person auf ihre vermeintlich übersensibilisierte Reaktion. Statt Verantwortung für die Folgen eigener Taten zu übernehmen, werden so Betroffene zusätzlich verhöhnt und als Verursacher*innen des unangenehmen Problems dargestellt und die Verantwortung wird auf sie abgeschoben.

Ein Beispiel von einer physischen Verletzung dient hier möglichweise als einfach Veranschaulichung: Ein falscher Tritt (z.B. auf den Fuss einer anderen Person) führt dazu, dass jener Person physischer Schmerz zugeführt wird. Der Schmerz bleibt absolut real, völlig unabhängig davon, ob es sich um ein Missgeschick oder etwa um einen Tritt mit böser Absicht gehandelt hat. Gut möglich, dass der Faktor der Intention für die gemeinsame Beziehungsebene eine Rolle spielen mag und so etwa ein wohlwollendes Verständnis begünstigen kann. Aber wohl kaum, wenn statt einer Reflexion des Fehlverhaltens und einer aufrichtigen Entschuldigung stattdessen Aussagen wie «Ich habe es ja gar nicht böse gemeint, also kann es dir gar nicht wirklich weh tun.» oder «Hab dich nicht so! Es war ja bloss ein harmloser Spass. Das habe ich schon immer so gemacht und es kann deshalb nicht schmerzhaft für dich sein.». Bei einer solchen Reaktion wird zweifelsohne noch zusätzlich Salz in eine metaphorische Wunde gestreut und explizit Unterhaltungszwecken eine höhere Wichtigkeit gegenüber dem persönlichen und kollektiven Leid von Mitmenschen sowie auch ihrer Würde gegeben. Wer an der Spitze der selbst erfundenen Hierarchie lebt und entsprechend die eigene Position als alleinige Norm versteht, fördert durch Abwerten und Missachten anderer Perspektiven deren Degradierung zu «weniger wichtigen» oder gar «nicht vorhandenen Meinungen». Die Verleugnung von (strukturellem) Rassismus durch weite Teile der Dominanzgesellschaft gehört mitunter zu seinen wichtigsten Bestandteilen, die dessen Erhalt überhaupt ermöglichen und auch zusätzlich fördern.

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