Im Gespräch mit Tsüri.ch

Das neue Jahr startete für uns mit einem Gespräch mit dem Zürcher Stadtmagazin Tsüri.ch, wo wir einen Rückblick auf 2020 sowie einen Ausblick auf 2021 wagten. Zusätzlich sprachen wir über die Organisation im Kollektiv, unsere Message und darüber, ob die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu uns waren.

Im Folgenden unsere Antworten auf ihre Fragen:

Tsüri.ch: Das Jahr 2020 in drei Worten?

Vo da.: Black Lives Matter.

Tsüri.ch: Was für Herausforderungen hat die Corona-Krise mitgebracht – und wie seid ihr damit umgegangen?

Eine Herausforderung war und ist es nach wie vor, dass wir, weil derzeit keine Live-Veranstaltungen möglich sind, mit unserer Community ausschliesslich virtuell in Kontakt treten können. Deshalb hat Social Media für uns mehr an Wichtigkeit gewonnen. Generell haben wir das Gefühl, dass der durch Corona verursachte Ausnahmezustand diverse Situationen der Ungerechtigkeit, Benachteiligung und zahlreiche diskriminierende Missstände zunehmend für Leute sicht- und damit auch erkennbar machte. Auch viele nicht primär negativ betroffene Menschen beschäftigen sich nun mit Situationen, die sie gegenüber anderen in ungerechtfertigter Weise bevorzugen.

Tsüri.ch: Was ist eure Message als Kollektiv?

Wenn wir als Gesellschaft weiterkommen möchten, müssen wir ein Verständnis von Rassismus, seinen Wirkweisen und über die Folgen seiner zugrundliegenden Welt- und Menschenbilder entwickeln. Es geht uns alle etwas an – ob als Privilegierte oder als Benachteiligte. Nur eine Auseinandersetzung damit kann helfen, nachhaltige, demokratiefördernde Fortschritte im gesellschaftlichen Zusammenleben in der Schweiz zu erzielen. Wir alle leben hier. Wir alle gehören dazu. Wir alle sind ein Teil von hier. Wir alle sind von hier. Mir sind VO DA.

Tsüri.ch: Wer oder was inspiriert euch?

Der Kampf gegen die strukturelle Diskriminierung von Menschen, die im Konzept des Rassismus als minderwertig gesehen werden, was wiederum ihre Schlechterbehandlung rechtfertigen soll, ist bereits mehrere Jahrhunderte alt. Dass wir heute mit unserer Arbeit da sind, wo wir sind, haben wir all denjenigen zu verdanken, die sich bereits vor uns für die Gleichwertigkeit aller Menschen – und für die Dekonstruktion von Rassismus und seinen Strukturen eingesetzt haben. Ausserdem durften wir im Zuge unseres Engagements schon zahlreiche Menschen, Gruppen, Organisationen und andere Kollektive kennenlernen, die aktuell grossartige und enorm wichtige Arbeit für die Rassismuskritik, die Wissensvermittlung und für unser gesellschaftliches Miteinander leisten. Sie alle inspirieren uns und ihnen gebührt unser grösster Dank!

Tsüri.ch: Weshalb tut ihr das, was ihr tut in Zürich – und nicht in einer anderen Stadt?

Weil wir vo da sind! Nein, im Ernst: Zürich ist das Zuhause unserer beiden Initianten und viele unserer Mitglieder leben hier. Dementsprechend wuchs unsere Community hier einfach auch am schnellsten. Aber es freut uns sehr, dass bei unseren Aktionen Menschen aus der ganzen Deutschschweiz – aktuell haben wir leider noch keine Ressourcen, um eine weitere Landessprache abzudecken (Excusez-nous! Scusate! Perdunai!) – mitmachen und sich von unserer Message angesprochen fühlen.

Bei Rassismus handelt es sich um ein Konstrukt, das gesamtgesellschaftlich wirkt und somit auch überall präsent ist. Es ist also unumgänglich, dass es überall Leute braucht, die aktiv sind und sich gemeinsam stark machen, wenn wir mal in einer diskriminierungsfreieren und rassismuskritischen Gesellschaft leben wollen.

Tsüri.ch: Zahlt ihr euch einen Lohn aus?

Unsere Projekte sind ausschliesslich spendenfinanziert. Alle Spenden, die wir für unsere Arbeit erhalten, fliessen direkt in die Deckung der offenen Rechnungen und in die Weiterentwicklung der Projekte. Da bleibt zurzeit nichts mehr für einen Lohn übrig. Leider führt dies dazu, dass Menschen mit eingeschränkten finanziellen Mitteln sich weniger oder kaum in bestimmten Projekten oder aktiven Rollen, die einen überdurchschnittlich grossen zeitlichen Aufwand mit sich bringen, engagieren können. Diese Situation möchten wir auf Dauer nicht akzeptieren! Wir planen deshalb in baldiger Zukunft ein Modell zu schaffen, wo aktive Mitglieder für ihre Arbeit gerecht entschädigt werden können.

Tsüri.ch: Waren die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu euch? Wo haben sie euch Steine in den Weg gelegt? Wo Türen geöffnet?

Zürich ist eine sehr diverse Stadt, deshalb lässt sich hier auch keine pauschale Aussage machen. Von Beginn weg haben die positiven Rückmeldungen und Zuschriften, die wir erhalten haben, überwogen. Einige Menschen haben auch selber Aktionen gestartet: z.B. ein Sommer-Konzert veranstaltet, T-Shirts designt oder sonst irgendwie Einnahmen generiert und uns dann einen Teil des Geldes gespendet. Diese Solidarisierung hat uns sehr gerührt!

Bei der Zürcher Stadtverwaltung hingegen sind wir seit rund einem Jahr dran, dass sie drei rassistische Häusernamen und ein rassistisches Wandbild im «Dörfli» ändert bzw. entfernt und damit endlich bekräftigt, dass sie Rassismus im öffentlichen Raum nicht legitimiert. Wir waren bereits an vier verschiedenen Stellen und haben zig Schreiben mit Anfragen und unserem konkreten Anliegen verfasst.

Tsüri.ch: Was war euer schönster Moment seit der Gründung?

Wir haben bereits unzählige wunderschöne Momente erlebt. Ein einziger hier herauszupicken, ohne dass die anderen Momente dabei in den Hintergrund rücken, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Was uns aber auf jeden Fall geprägt hat, war, wie viele Menschen sich mit dem durchgestrichenen Satz «Nei, ich meine, vo wo chunsch du würkli?» identifizieren können. Natürlich gibt es immer wieder auch Leute, die sagen: «Hört doch auf so ein Theater wegen dieser Frage zu machen!». Letztere verstehen aber nicht, wie viel mehr hinter der Frage bzw. eben diesem Absprechen von Zugehörigkeit steckt, welches Betroffene ihr ganzen Leben lang ständig erfahren müssen. (Mehr dazu: Wieso „Vo da.“?)

Während die Zugehörigkeit bestimmter Menschen zur Schweiz nie hinterfragt wird, erfordert die Präsenz anderer stets eine detaillierte Erklärung, die dann häufig ja nicht einmal ohne Kommentar oder weiteres Nachfragen akzeptiert wird. Ihnen wird grundsätzlich misstrauisch entgegengetreten und verhält sich jemand mal nicht korrekt, wird dies als naturgegebenes Fehlverhalten einer ganzen «Gruppe» beurteilt.

Tsüri.ch: Wie geht ihr als Gruppe kollektiv mit Entscheidungsprozessen um?

Das Kernteam des Kollektivs ist noch eher klein und gut überschaubar. Bestimmte Vorhaben unseres Engagements waren bereits Teil des Konzepts, das vor der Gründung erarbeitet wurde und jetzt nach und nach so umgesetzt wird. Weil das Kollektiv insgesamt aber viel schneller als geplant gewachsen ist, haben sich unsere aktiven Mitglieder in Arbeitsgruppen aufgeteilt, die sich u.a. dem Online-Magazin, der Community, neuen Bildungsprojekten und – hoffentlich bald wieder – Events widmen. Die Arbeitsgruppen entscheiden selbständig, welchen spezifischen Arbeiten sie sich annehmen möchten. Bei einem grösseren Vorhaben, das auch Ressourcen des gesamten Kollektivs benötigt, werden Entscheidungen im Dialog mit den verantwortlichen Koordinator*innen gefällt.

Gerade weil es sich bei der Thematik Rassismus teilweise um sehr Persönliches handelt, geben wir den Stimmen von in einem bestimmten Fall Direkt-Betroffenen bewusst mehr Gewicht und lassen sie entscheiden, wie wir eine Sache als Kollektiv genau angehen sollen.

Tsüri.ch: Was wünscht ihr euch von Zürich?

Zürich rühmt sich selbst immer wieder für seine hohe Lebensqualität im sogenannten «Städteranking» und die Stadtpräsidentin Corine Mauch hat schon mehrfach betont, dass hier «Menschen aus über 160 Nationen friedlich miteinander leben». Beides sind natürlich durchaus schöne Umstände, die es zu schätzen und auch zu feiern gälte. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nicht alle von dieser Lebensqualität im gleichen Masse profitieren bzw. diese genau gleich erleben können. Dass die Bewohner*innen der Stadt so vielfältig sind, hat mit der jahrhundertelangen Migrationsgeschichte der Schweiz zu tun.

Diese Bewegungen legten das Fundament der Schweiz, wie wir sie kennen. Dennoch stecken in unserer Gesellschaft nach wie vor viele rassistische und (post)kolonial geprägte Denk- und Wahrnehmungsmuster, die in Rassismus ihren Ausdruck finden. Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft kritisch hinterfragen, was wir als normal – und somit als zugehörig – wahrnehmen. Ausserdem wünschen wir uns, dass sich die Diversität der Gesellschaft auch in den öffentlichen Stimmen in der Medienlandschaft sowie in staatlichen Institutionen, wie den Universitäten, der Verwaltung und dem Stadtparlament widerspiegelt.

Tsüri.ch: Ihr seid es, die unsere Stadt zu der machen, die sie ist. Sie belebt – kulturell, aber auch politisch. Was plant ihr für das kommende Jahr?

Wir befinden uns noch immer in der Aufbauphase und werden wohl noch eine Weile damit beschäftigt sein, unsere Arbeit besser zu strukturieren und zu organisieren. Unser Fokus liegt dabei klar auf unserer Community, deren Unterstützung unser Engagement überhaupt erst möglich macht. Sollte es die Lage rund um Corona erlauben, möchten wir im kommenden Jahr auf jeden Fall einzelne Veranstaltungen durchführen, wo wir persönlich mit Mitgliedern und interessierten Menschen in den Austausch treten und gemeinsam die Projekte unseres Kollektivs weiterentwickeln können.

So oder so werden wir uns mit unserer Arbeit weiterhin darum bemühen, Rassismusbetroffenen in der Schweiz sowie ihren Anliegen mehr Gehör zu verschaffen und dadurch Nicht-Betroffene dazu zu bewegen, sich damit auseinanderzusetzen und idealerweise zu reflektierterem Denken und Handeln anregen. Seid und bleibt laut gegen Rassismus!

Den ganzen Artikel zu unserem Gespräch findet ihr übrigens hier.

Dieses Gespräch mit Tsüri.ch fand im Rahmen ihrer Serie «Zürcher Kollektive» statt. Alle Artikel werden im Januar 2021 veröffentlicht. Ihr findet die bereits publizierten Beiträge der Serie auf tsri.ch.