Rassismusbericht 2021: Nachgefragt bei humanrights.ch

Wie bereits letztes Jahr haben wir auch in diesem Jahr der Organisation humanrights.ch einige Fragen zu dem von ihr kürzlich veröffentlichten Bericht «Rassismusvorfälle aus der Beratungsarbeit 2021» gestellt. Der jährliche Rassismusbericht entsteht jeweils in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR und enthält Daten aus der täglichen Arbeit der 22 schweizweit geführten Beratungsstellen, die dem von humanrights.ch geleiteten «Beratungsnetz für Rassismusopfer» angeschlossen sind.

Das Gespräch führten wir mit Gina Vega, die in ihrer Rolle als Leiterin Fachstelle Diskriminierung und Rassismus und «Beratungsnetz für Rassismusopfer» bei humanrights.ch die redaktionelle Leitung und die Analyse- und Koordinationsarbeit des Rassismusberichts verantwortet.

Kollektiv Vo da.: Das Beratungsnetz für von Rassismus betroffenen Menschen veröffentlicht nun bereits seit 2008 jährliche Berichte. Wie hat sich das Beratungsnetz in dieser Zeit weiterentwickeln können und lassen sich Schlüsse auf die Bedürfnisse der Gesellschaft schliessen?

Gina Vega (humanrights.ch): Das Beratungsnetz ist über die Jahre von ursprünglich 5 zu 22 Mitgliederstellen gewachsen. Mittlerweile gibt es ein Beratungsangebot für von Rassismus betroffenen Menschen in jedem Kanton. Die Strukturen sind je nach Kanton unterschiedlich, z.B. übernehmen grössere Beratungsstellen die Beratung für kleinen Kantone. Das Beratungsnetz koordiniert und unterstützt die angeschlossenen Beratungsstellen in der Qualität ihrer Arbeit durch Vernetzung, Fachaustausch, Weiterbildung und Monitoring. Die verbesserte Zugänglichkeit der Beratungsstellen und ihre Wichtigkeit für die Unterstützung und Begleitung von Betroffenen, Zeug*innen und Fachpersonen macht sich in dem stetigen Anstieg an dokumentierten und bearbeiteten Beratungsfällen in unseren jährlichen Auswertungsberichten bemerkbar. Die Zahlen zeigen einerseits auf, dass Rassismus in der Schweiz allgegenwärtig ist und andererseits, dass eine wachsende Bereitschaft der Gesellschaft besteht Rassismus ernst zu nehmen, Vorfälle zu melden und dagegen vorzugehen. Dies ist eine erfreuliche Tendenz, welche aber weiter vorangetrieben werden muss. In Zeiten, in denen rassistische, rechtsextremistische und antisemitische Ideologien sowie Hass im Netz weit verbreitet sind, müssen die Anstrengungen gegen Rassismus von der Politik, den Institutionen und der Gesamtgesellschaft verstärkt werden.

Die im Bericht anonym genannten Fallbeispiele erstrecken sich über eine Vielzahl von Lebensbereichen und Diskriminierungsformen. Was sind die verschiedenen Tätigkeiten des Beratungsnetzes und an welche Personen sind diese gerichtet?

Gina Vega: Die an das Beratungsnetz angeschlossenen Beratungsstellen bieten für Betroffene, Angehörige, Zeug*innen und Fachpersonen Auskunft, psychosoziale Beratung und Rechtsberatung an und treten auch immer wieder als vermittelnde Instanzen auf. In einem ersten Schritt wird bei einer Beratung der meldenden Person zugehört, ihr Anliegen wird ernst genommen, das Erlebte wird eingeordnet und die Wünsche und Bedürfnisse abgeklärt. In einem zweiten Schritt werden zusammen mit den betroffenen Personen die Handlungsmöglichkeiten herausgearbeitet. Wichtig dabei ist immer die betroffenen Personen zu stärken, damit ein Heilungsprozess beginnen kann. Je nach Wunsch der meldenden Person, können Beratungsstellen auch beim Verfassen von Beschwerden, Einsprüchen, Anträgen oder Interventionsschreiben unterstützen oder übernehmen. Bei Bedarf können Beratungsstellen auch direkt intervenieren oder Mediationen durchführen. In vielen Fällen kann nur erst mit dem Einbezug der Beratungsstelle eine Verbesserung der Situation für die betroffene Person erreicht werden.

In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft finden zahlreiche Beleidigungen und Hassreden diskriminierenden Ursprungs statt. Wie können Menschen darauf reagieren und was für Konsequenzen können solche Aussagen im Netz auch in der realen Welt für Folgen haben?

Gina Vega: Die Strategien im Umgang mit digitaler Gewalt sind vielfältig. Wenn wir betroffen von Hassrede sind, ist es wichtig, dass wir den Angriff nicht persönlich nehmen. Betroffene sind nur Projektionsfläche von Hater*innen. Die Gründe für ihren Hass liegen immer in den Hater*innen selbst. Auch ist es wichtig zu wissen, dass wir nicht allein sind. Wir können Unterstützung z.B. von einer Beratungsstelle suchen und den Vorfall melden. Seit dem letzten Jahr besteht auch die Möglichkeit, rassistische Online-Hassrede über die digitale Meldeplattform: www.reportonlineracism.ch zu melden und, wenn gewünscht, eine unkomplizierte Beratung zu erhalten.

Auch als Zeug*innen ist es wichtig zu handeln. Ignorieren ist nicht die beste Strategie. Dies vermittelt nämlich das Bild, dass diskriminierende Hassrede von der Gesellschaft akzeptiert, oder zumindest toleriert wird. Auch im Internet muss klar signalisiert werden, dass Rassismus und Hassrede nicht akzeptiert werden. Wie bereits erwähnt, kann dies durch das Melden von Kommentaren und Profile gemacht werden, aber auch durch Gegenrede oder das Pushen von positiven Kommentaren. Besonders stark wirkt die Gegenrede, wenn man sich mit mehreren Personen koordiniert. Es gibt sogar Organisationen wie z.B. Stop Hate Speech, die sich auf koordinierte Gegenrede spezialisiert haben. Das Internet ist zudem kein gesetzloser Raum. Täter*innen können wegen Rassendiskriminierung (Artikel 261bis Strafgesetzbuch) oder Ehrverletzungsdelikten (Artikel 173–177 Strafgesetzbuch) verfolgt werden. Auch das «Liken» oder «Teilen» eines Beitrags mit ehrenverletzenden oder rassistischen Äusserungen im Internet können strafbar sein. Rassismus und Diskriminierung sollen weder in der virtuellen noch in der realen Welt Platz haben und müssen online, genauso stark wie offline bekämpft werden.

Der Bericht «Rassismusvorfälle aus der Beratungsarbeit 2021» kann hier heruntergeladen werden. Eine Übersicht aller bisherigen Berichte sowie eine Adressliste aller 23 Mitgliederstellen des Beratungsnetze findet sich auf www.network-racism.ch.

Wir können euch zudem einen Besuch auf der Informationsplattform von humanrights.ch sehr empfehlen. Darauf ist eine Vielzahl an lehrreichen Inhalten über Menschenrechte und das aktuelle Geschehen in der Schweiz aus menschenrechtlicher Perspektive zu finden.